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Geltungszeitraum von: 27.02.2009

Geltungszeitraum bis: 30.07.2023

Dienstordnung für die Evangelischen Seelsorgerinnen und Seelsorger an den Justizvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen

Vom 27. Februar 2009

(KABl. 2009 S. 22)

Die Evangelische Kirche im Rheinland, die Evangelische Kirche von Westfalen und die Lippische Landeskirche bestimmen im Einvernehmen mit dem Land Nordrhein-Westfalen Folgendes:
Präambel
Die Kirche hat von Gott den Auftrag empfangen, sein Reich und seine Herrschaft aller Welt zu bezeugen. Sie verkündigt die gute Botschaft von Jesus Christus, vom Anbruch der Herrschaft Gottes in dieser Welt, von Gericht und Gnade, von der Versöhnung mit Gott und den Menschen und von der Vergebung. Auf Grund dieses Auftrages entsendet sie Pfarrerinnen und Pfarrer in die Justizvollzugsanstalten.
Die Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen bildet einen Teil der den Kirchen obliegenden allgemeinen Seelsorge. Der seelsorgliche Dienst gilt im umfassenden Sinn dem ganzen Menschen und berücksichtigt Ursachen und Folgen der Tat, die alltäglichen Probleme des Gefangenenlebens und schließt die diakonische Dimension kirchlichen Handelns ein.
Die Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten stellt sich bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben auf die besonderen Bestimmungen ein, die für den Justizvollzug gelten, bleibt aber an ihren kirchlichen Auftrag gebunden.
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I. Allgemeine Dienstführung

  1. Die evangelische Seelsorge wird in den Justizvollzugsanstalten von Pfarrerinnen und Pfarrern ausgeübt und vollzieht sich nach den Ordnungen der jeweiligen Evangelischen Landeskirche (insbesondere Kirchenordnung, Pfarrdienstrecht einschließlich Disziplinarrecht) entsprechend dem Ordinationsgelübde und in Anwendung dieser Dienstordnung. Dabei sind die gesetzlichen Vorschriften, die sonstigen Bestimmungen über den Justizvollzug und die für die Bediensteten des Justizvollzuges ergangenen Anordnungen zu beachten. Dies gilt auch für die Anordnungen, die durch die Justizvollzugsanstalt in Bezug auf Inhaftierte generell oder individuell getroffen worden sind. Die Pfarrerinnen und Pfarrer sind zur Wahrung des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses und zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet.
  2. Die Rechtsstellung der Pfarrerinnen und Pfarrer wird durch das Dienstverhältnis und gegebenenfalls durch besondere Bestimmungen nach dem Gestellungsvertrag bestimmt. Daraus folgt auch die Zuständigkeit für die Dienstaufsicht. In Fragen der Seelsorge liegt die Aufsicht bei der zuständigen Landeskirche.
  3. Die Pfarrerinnen und Pfarrer sind zur Fortbildung verpflichtet. Die Landeskirchen fördern die Fort- und Weiterbildung, insbesondere die Reflexion von Seelsorge und die Supervision.
  4. Die Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten mit den anderen im Justizvollzug Tätigen im Rahmen ihrer seelsorglichen Verpflichtungen zusammen und nehmen an Dienstbesprechungen und Konferenzen teil, soweit dies mit Rücksicht auf den kirchlichen Auftrag möglich ist. In seelsorglichen Angelegenheiten sind sie in ihrem Dienst frei. Als an der Erfüllung der Aufgaben des Vollzuges Beteiligte haben die Pfarrerinnen und Pfarrer in Ausübung ihrer seelsorglichen Tätigkeit in der Anstalt grundsätzlich die Pflichten und Rechte wie die anderen Vollzugsbediensteten. Sie achten mit darauf, dass sie bei Maßnahmen der Leitung der Justizvollzugsanstalt, die die Belange des pfarramtlichen Dienstes berühren, vorher gehört werden.
  5. In ihrem Dienst sind die Pfarrerinnen und Pfarrer unbeschadet der allgemeinen Aufgaben des Amtes an die Inhaftierten evangelischen Bekenntnisses gewiesen. Die Aufgaben und Rechte der Pfarrerinnen und Pfarrer aus dieser Dienstordnung erstrecken sich aber auch auf Inhaftierte, die nicht dem evangelischen Glauben angehören, jedoch Betreuung durch die Evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer wünschen.
  6. Die Pfarrerinnen und Pfarrer sind zur Mitarbeit bei der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Justizvollzugsbediensteten bereit.
  7. Die Pfarrerinnen und Pfarrer ziehen im Einvernehmen mit der Leitung der Justizvollzugsanstalt freiwillige Helferinnen und Helfer, unterstützende Gruppen sowie Seelsorgerinnen und Seelsorger und Seelsorgehelferinnen und Seelsorgehelfer für den Dienst in der Einrichtung hinzu und sorgen für deren Zurüstung und Begleitung.
  8. Die Pfarrerinnen und Pfarrer sind verpflichtet, an den Pfarrkonventen des Kirchenkreises, an Tagungen der Evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge in Nordrhein-Westfalen sowie an den Tagungen der Kreissynode des Kirchenkreises, in dem die Justizvollzugsanstalt liegt, teilzunehmen.
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II. Gottesdienst, Veranstaltungen, Amtshandlungen, Unterricht

  1. Entsprechend den Bestimmungen der jeweiligen Landeskirche halten die Pfarrerinnen und Pfarrer in den Justizvollzugsanstalten Gottesdienste, Andachten und Bibelgespräche, vollziehen Amtshandlungen (Taufen, Trauungen, Beerdigungen), bieten Gruppenarbeit an und unterrichten.
  2. Die Pfarrerinnen und Pfarrer führen über durch sie vollzogene Amtshandlungen ein Tagebuch. Nach der Amtshandlung übergibt die Pfarrerin oder der Pfarrer die erforderlichen Unterlagen zur Eintragung in die Kirchenbücher der Ortskirchengemeinde, in der die Justizvollzugsanstalt liegt, oder der Ortskirchengemeinde des Wohnsitzes.
    Taufen, Trauungen, Konfirmationen sowie Aufnahmen und Wiederaufnahmen in die Kirche werden nach entsprechender Vorbereitung gemäß den Vorschriften der jeweiligen Landeskirche durchgeführt.
  3. Die Zeiten für Gottesdienste und kirchlich verantwortete Veranstaltungen werden im Einvernehmen mit der Leitung der Justizvollzugsanstalt festgelegt. Überschneidungen mit anderen Veranstaltungen sind zu vermeiden. Die Zeiten sind so anzusetzen, dass die Teilnahme der Inhaftierten möglich ist.
  4. Die Pfarrerinnen und Pfarrer sind in besonderer Weise zur Zusammenarbeit mit Geistlichen anderer Konfessionen, insbesondere den bei den Justizvollzugsanstalten tätigen katholischen Geistlichen verpflichtet. Ökumenische Veranstaltungen werden durch die Landeskirchen in besonderer Weise gefördert; ökumenische Gottesdienste werden gemeinsam durch die Geistlichen beider Konfessionen geleitet.
  5. An Besuchen oder Veranstaltungen von kirchlichen oder außerkirchlichen Personen, Stellen oder Gruppen in den Justizvollzugsanstalten beteiligt sich die Pfarrerin oder der Pfarrer.
  6. Die Pfarrerinnen und Pfarrer wirken an der Freizeitgestaltung der Inhaftierten in den Justizvollzugsanstalten mit.
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III. Seelsorge

Die Evangelische Seelsorge in der Justizvollzugsanstalt umfasst insbesondere folgende Aufgaben:
  1. Einzelseelsorge einschließlich der Besuche in den Hafträumen;
  2. Beichtgespräche;
  3. Gruppenseelsorge;
  4. Beteiligung bei Besuchen und Begleitung bei Ausführung von Inhaftierten in seelsorglich begründeten Fällen;
  5. besondere Seelsorge bei Krankheitsfällen;
  6. Beratung und Begleitung für die Angehörigen der Inhaftierten in Partnerschafts-, Ehe- und Familienangelegenheiten;
  7. Mitwirkung bei der sozialen Hilfe für Inhaftierte und deren Angehörigen unter Beachtung der Primärzuständigkeit des Sozialdienstes;
  8. Möglichkeit zur Äußerung in Gnadensachen und in dem zur Entlassung von Inhaftierten führenden Verfahren;
  9. Mitwirkung und Beratung bei der Vorbereitung und Durchführung des Vollzugsplanes und der Wiedereingliederung von Inhaftierten;
  10. Seelsorge an Mitarbeitenden des Justizvollzuges unbeschadet der Zuständigkeit der Ortspfarrerin oder des Ortspfarrers;
  11. Mitwirkung bei der Anschaffung und Ausgabe religiöser Bücher und Schriften.
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IV. Zusammenarbeit mit Kirchengemeinden und anderen kirchlichen Diensten

Die Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten mit den verschiedenen Gruppierungen der Straffälligenhilfe zusammen; sie sind Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner insbesondere für die Evangelische Straffälligenhilfe in der Justizvollzugsanstalt. Sie haben die ehrenamtliche Arbeit von Kirchengemeinden und Einrichtungen der Straffälligenhilfe zu fördern und zu begleiten. Durch Öffentlichkeitsarbeit und persönliche Kontakte zu Kirchengemeinden und zu anderen kirchlichen Körperschaften soll die Wiedereingliederung von Inhaftierten als Gemeinschaftsaufgabe bewusst gemacht werden. Die Pfarrerinnen und Pfarrer wirken bei der Öffentlichkeitsarbeit der Justizvollzugsanstalten in Gesellschaft und Kirche mit.
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V. Aufsicht und funktionale Zuständigkeiten

  1. Die Pfarrerinnen und Pfarrer unterliegen nach den Bestimmungen der jeweiligen Kirchenordnung in der Führung ihrs Pfarramtes der Aufsicht des zuständigen Landeskirchenamtes. Im Falle einer kreiskirchlichen Pfarrstelle unterliegen sie der unmittelbaren Aufsicht der zuständigen Superintendentin oder des zuständigen Superintendenten.
  2. Die Kirchen sind berechtigt, in Absprache mit der Leitung der Justizvollzugsanstalt und nach Fühlungnahme mit dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen ihrer Aufsicht über die Seelsorge Visitationen in den Justizvollzugsanstalten durchzuführen. Die Visitationen werden nach der „Visitationsordnung für die mit der Seelsorge an den Strafanstalten in Nordrhein- Westfalen beauftragten Pfarrer“1# (KABl. EKiR 1955 S. 113, KABl. EKvW 1955 S. 93) durchgeführt.
  3. Für den Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen wird eine Dekanin oder ein Dekan ernannt, die oder der neben den allgemeinen Dienstaufgaben in der Justizvollzugsanstalt unter anderem folgende Aufgaben erhält: Beratung des Justizvollzuges, Anleitung der erstmals in der Anstaltsseelsorge tätigen Seelsorgerinnen und Seelsorger, deren fachliche Beratung auch vor Ort, Unterstützung bei der Entwicklung seelsorglicher Konzepte, Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Justizvollzugseinrichtungen und den kirchlichen Leitungsorganen. Die Dekanin oder der Dekan ist zugleich Ansprechpartnerin oder Ansprechpartner für die Anstaltsleitungen sowie für die Pfarrerinnen und Pfarrer in Konfliktfällen.
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VI. Organisatorische Voraussetzungen für die Dienstausübung

Die von der Leitung der Justizvollzugsanstalt vorzuhaltenden, zur Dienstausübung nötigen organisatorischen Voraussetzungen sind zu nutzen. Hierzu gehören insbesondere:
  1. Mitteilungen aller Zugänge von Gefangenen evangelischer Konfession unter Bekanntgabe der Personalien und die namentliche Nennung aller Entlassungen;
  2. Gewährung der Einsicht in die Personalakten von Gefangenen;
  3. Selbstständiger Zugang zu den Inhaftierten unter Aushändigung eines Anstaltsschlüssels;
  4. Ermöglichung des Kontaktes zwischen Inhaftierten und den Pfarrerinnen und Pfarrern, von Seelsorgegesprächen in den Zellen und in den Gruppenräumen sowie von Besuchen im Dienstzimmer der Pfarrerin oder des Pfarrers;
  5. Zeitnahe Information über besondere Vorkommnisse;
  6. Berücksichtigung der Gottesdienste und anderer Veranstaltungen im Veranstaltungsprogramm der Justizvollzugsanstalt nach Rücksprache mit den Pfarrerinnen und Pfarrern sowie Zulassung und Zuführung der Inhaftierten zur Teilnahme;
  7. Zuteilung geeigneter Räume für die Veranstaltungen der Evangelischen Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten;
  8. Bereitstellung eines geeigneten Dienstzimmers einschließlich eines Telefons mit Außenverbindung unter Ausschluss der Speicherung und Überwachung der ein- und ausgehenden Gespräche, um den Schutz des Seelsorgegeheimnisses zu gewährleisten;
  9. Erledigung der Schreib- und Verwaltungsarbeit der Pfarrerin oder des Pfarrers durch die Verwaltung;
  10. Zuteilung von Helferinnen und Helfern aus den Reihen der Inhaftierten.
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VII. Einvernehmen und Änderung der Dienstordnung

Bei Schwierigkeiten in der Anwendung oder Auslegung dieser Dienstordnung, die nicht zwischen der Leitung der Justizvollzugsanstalt und den Pfarrerinnen und Pfarrern behoben werden können, werden sich das Justizministerium des Landes Nordrhein- Westfalen und die jeweilige Landeskirche unverzüglich informieren und versuchen, die Schwierigkeiten einvernehmlich zu beseitigen.
Die Änderung dieser Dienstordnung ist nur in gegenseitigem Einvernehmen zwischen dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und den Landeskirchen möglich.
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VIII. Inkrafttreten

Diese Dienstordnung tritt mit ihrer Veröffentlichung in Kraft2#.
Zugleich tritt die Kirchliche Dienstordnung für evangelische Strafanstaltspfarrer vom 31. August 1962 / 17. Oktober 1962 (KABl. EKiR 1962 S. 135/KABl. EKvW 1962 S. 127) außer Kraft.

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1 ↑ Nr. 75.
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2 ↑ Redaktioneller Hinweis: Die Veröffentlichung im KABl. der EKvW erfolgte am 27. Februar 2009, im GVBl. der Lippischen Landeskirche am 1. Februar 2009 und im KABl. der EKiR am 15. Januar 2009.